Roberto De Lapuente: Die Bauernproteste finden noch statt, man sieht aber in den Medien nur noch wenig davon — der „Kampf gegen rechts“ geht vor. Wie fühlt sich das an, wenn man mit seinen Forderungen so aufs Abstellgleis gestellt wird?
Helmut Meier: Das ist eine spannende Frage. Man fühlt sich betrogen, benutzt, unverstanden — teilweise ist man auch einfach nur irritiert. In Anbetracht der Dimensionen der Bauernproteste hätte man mehr Respekt erwartet. Meine Berufskollegen haben am heutigen Tage (Anmerkung der Redaktion: 30. Januar 2024) Hamburg komplett lahmgelegt. Berichtet wird darüber kaum noch. Im Übrigen sind alle Verkehrskameras ausgeschaltet worden. Vielleicht damit man nicht sieht, wie viele Traktoren in der Stadt sind? Ein Kollege von mir hat bei der Polizei nachgefragt, ihm wurde gesagt, man haben die Kameras aufgrund des Ukrainekriegs abgestellt.
Wegen des Ukrainekriegs?
Das ist wirklich nicht nachvollziehbar. In unserer Nachbarstadt gibt es jetzt Graffitis, da ist unter anderem zu lesen: „Bauernnazis“. Auf Ihre Frage, wie sich das anfühlt: So fühlt sich das an. Immerhin haben es die französischen Bauern gestern Abend doch in die Tagesschau um 20 Uhr geschafft.
Ihre französischen Berufskollegen protestieren drastischer als die deutschen Bauern. Glauben Sie, dass sich da gerade ein europäischer Bauernprotest formiert?
Das glaube ich nicht — das weiß ich! Die Franzosen haben ja eine ganz andere Streitkultur als wir. Dass sich aber überhaupt Widerstand regt in Deutschland, sagt viel aus. Denn Bauern sind ja mehrheitlich konservativ, so leicht demonstrieren die nicht. Es gibt übrigens auch in Polen, Ungarn und Rumänien massive Proteste. Wir deutschen Bauern müssen denen unendlich dankbar sein: Wenn die nicht seit Monaten die Grenzen zur Ukraine blockiert hätten, würde hier noch viel mehr dieses extrem billigen Getreides ankommen. Dann sähe die Situation für uns Landwirte noch viel schlechter aus. Selbst im EU-Vorzeigeland Litauen positionieren sich plötzlich die Landwirte. In Belgien geht es nun auch los. Und in den Niederlanden haben sie ja schon vor Monaten demonstriert. Vielleicht fängt es dort bald wieder an.
„Subventionen gibt es, damit spottbillige Lebensmittel produziert werden können“
Ist das eine Internationale der Landwirte?
So weit würde ich nicht gehen. Wir sind nicht europäisch organisiert. Aber man kennt natürlich Berufskollegen aus anderen Ländern. Und mit denen steht man in Kontakt. Europa war vielleicht schon lange nicht mehr so einig wie unter dem Protest der Landwirte.
Treibt die Bauern im Ausland dasselbe an wie jene in Deutschland?
Absolut. Die jeweiligen Agrarumwelt- und Fördermittelprogramme sind im Detail natürlich in jedem Land anders. Aber gut, das ist ja bei uns in jedem Bundesland schon so. In Bayern gibt es höhere Subventionen als hier in Mecklenburg-Vorpommern. Der Topf, aus dem das alles in Europa bezahlt wird, ist jedoch immer derselbe. Die Methoden, mit denen die Bauern gegängelt werden mit Behördlichem und mit Papierkram, die sind überall identisch.
Die Agrarministerkonferenz hat kürzlich getagt und noch mal nachgelegt: Die Basisprämie wird von 153 auf 126 Euro je Hektar gesenkt. Die Mittel für Agrarumweltmaßnahmen fallen zudem um 10 Prozent. Was bedeutet das?
Wir haben zum Beispiel einen Marktfruchtbetrieb, einen Milchviehbetrieb mit Biogas und einen Ökobetrieb. Die Basisprämie lag für uns bis 2022 bei 273 Euro pro Hektar. Zusätzlich erhalten wir für Agrarumweltmaßnahmen Geld. Wir haben auf 10 Prozent Lupine angebaut. Dafür haben wir pro Hektar 85 Euro bekommen. Beide Subventionen sind beträchtlich gesunken, wie ich in der Tabelle dargelegt habe.
Kritiker werfen den Landwirten vor, dass die Subventionierung aus der Zeit gefallen sei.
Die meisten Bauern wollen doch gar keine Subventionen. Wir wollen faire Preise. Aber davon sind wir ja weit weg.
Außerdem sind diese Subventionen nur dazu da, damit am Ende spottbillige Lebensmittel produziert werden können. Es gibt kein Land in Europa, das so niedrige Lebensmittelpreise hat wie Deutschland. Ich war im Spätherbst in Spanien und regelrecht entsetzt darüber, wie teuer dort die Produkte waren.
„Hintenrum wird uns deutlich mehr weggenommen“
Ich führe noch mal die Kritiker an: Sie verweisen häufig auf die extreme Höhe der Subventionen. 2,6 Milliarden Euro seien es im letzten Jahr gewesen.
Die Subventionshöhe sagt absolut gar nichts über den Gewinn des Betriebes aus. Unser Ökobetrieb ist zum Beispiel sehr klein und bekommt die meisten Subventionen aller Bereiche. Seit letztem Jahr gilt die sogenannte neue EU-Agrarreform. Uns wurde mitgeteilt, wir kriegen diese Basisprämie erst, wenn wir Minimalregeln einhalten. Dazu gehören unter anderem vier Prozent Stilllegung.
Was heißt Stilllegung?
Auf stillgelegtem Boden dürfen wir nichts produzieren. Das dient angeblich den Insekten und Vögeln. Wenn wir das nicht tun, erhalten wir die Prämie nicht. Überhaupt sieht es so aus: Man hat einige der zuerst geplanten Sparmaßnahmen zurückgenommen oder leicht abgemildert, hat aber über die Agrarministerkonferenz die Gesamthöhe der Fördermittel reduziert.
Wir standen also am 15. Januar 2024 in Berlin und haben dafür protestiert, dass die Maßnahmen zurückgenommen werden. Und eine Woche später wird uns gesagt, die Sparpläne werden aufgeweicht und auf die nächsten drei Jahre gesplittet — aber hintenrum wird uns deutlich mehr weggenommen.
Nebenher wurden aber doch auch Erhöhungen beschlossen: Agroforst soll teilweise dreimal so hoch gefördert werden. Kein Grund zur Freude?
Nein, denn das ist im Promillebereich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland 1.000 Hektar Agroforstfläche gibt (Anmerkung der Redaktion: 2022 waren es laut DeFAF 849 Hektar bundesweit). Und selbst wenn es 1.000 Hektar wären, zur Einordnung: Mecklenburg-Vorpommern hat 1,7 Millionen Hektar Land. Optimistisch kalkuliert: Ein Hektar Agroforst anzulegen würde uns hier etwa 10.000 Euro kosten. Wer denkt, eine Prämie von 200 Euro pro Hektar bei zusätzlichem Bürokratieaufwand würde uns locken, der hält uns doch für geistig eingeschränkt.
Die Forderungen, mit denen die Bauern in diese Proteste gingen, nämlich die Rücknahmen der Kürzungspläne, wurden so gut wie kaum zurückgenommen, im Gegenteil, wie Sie erklärten: Bewegt sich da noch was politisch, wenn die ersten Höfe wegen dieser Mehrbelastung schließen müssen?
Die Liquidität der meisten Betriebe ist so hart an der Grenze, dass das jetzt wirklich nicht mehr weitergeht. Wir sind zudem wirklich an dem Punkt, wo wir in diesem Land die Ernährungssouveränität, die es nebenher gesagt noch nie vollends gab, absolut nicht mehr sicher ist. Ob morgen wohl noch genug Milch da ist? Und wenn das Vabanquespiel in der Ukraine schiefgeht, haben wir morgen noch nicht mal mehr ausreichend Weizen.
„Die Menschen solidarisierten sich stark mit uns“
Vielleicht sollen ja Landwirtschaftskonzerne übernehmen?
Ja, das wird kommen. Viele von uns glauben, dass man unsere Berufsbranche abschaffen will. Die Schlachtindustrie hat es doch vorgemacht.
Bauernproteste können aus Sachzwängen heraus ja nur saisonal stattfinden. Wie geht es jetzt weiter?
Im Moment will keiner aufhören. In den Betrieben arbeitet ja auch ein Teil der Belegschaft; der andere demonstriert. Irgendwer muss ja auch jetzt die Kühe melken. Die Kollegen am Hof arbeiten dafür etwas länger — machen wir Bauern sonst ja auch oft. Die Verzweiflung ist so groß, wissen Sie. Man will mit den Demonstrationen einfach nicht aufhören.
Ich habe einen Kollegen mit Biobetrieb, zwei Dörfer weiter. Der hat heute seine gesamte Getreideernte an eine Biogasanlage verkauft, damit er überhaupt noch liquide Mittel hat. Jetzt verfeuern die sein Superfood, Dinkel nämlich.
Das ist doch Wahnsinn! Ich sagte ihm, er mache genau das, was die Politik von ihm will. Aber welche Wahl hat er?
Hat die gut vernetzte und dezentralisierte Organisation der Proteste dazu geführt, dass die Bauern den Bauernverband mittlerweile für überflüssig erachten?
Mir fällt auf, dass es vorwiegend die älteren Kollegen sind, die dem Verband die Treue halten — weil das immer schon so war. Die möchten weiterhin organisiert sein. Die kleineren Verbände, die es neben dem Bauernverband gibt, zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), haben aber mittlerweile mehr Sympathien bei den Jungen.
Man hat den Bauern ja anhängen wollen, dass sie irgendwie mit Rechtsextremisten im Bunde stehen sollen: Hat das dem Berufsstand geschadet?
Einfach nur: Nein! Unglaublich viele Leute haben uns unterstützt. Passanten brachten Kaffee und Kuchen vorbei. Es gab sogar Döner und Pizza. Kollegen, die vorher schon auf Demonstrationen waren, sagten uns, wir bräuchten nichts zum Essen mitbringen, es gebe genug. Die Menschen solidarisierten sich stark mit uns.
Wir haben nun viel besprochen, aber zum Schluss mal zu Ihrer Situation: Was bedeutet die Entwicklung für Sie persönlich? Für Ihren Hof? Können Sie auf dieser Basis weitermachen?
Wir haben in den letzten Jahren drei Mitarbeiter entlassen müssen und die Stellen nicht wieder besetzt. So lange es ging, haben wir sie gehalten. Jetzt machen wir alle mehr — oder man macht halt nur noch das, was man schafft. Seit drei Jahren haben wir keine Investition mehr getätigt. Wir werden irgendwann schlicht nicht mehr wettbewerbsfähig sein — oder noch weniger als ohnehin schon. Wenn heute der Traktor im Graben landet, fehlt nicht nur uns das Geld für einen neuen. Und junge Leute zu finden, die unseren Beruf machen wollen, ist überdies schwierig bis unmöglich.
Helmut Meier* ist angestellter Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern.
*Name geändert
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